Mythos und Geistige Wegweiser

Lebens|t|räume Magazin – Ausgabe Juli 2024

 

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Wolfgang Maiworm, E-Mail: wolfgang@lebens-t-raeume.de, Website: www.wolfgangmaiworm.de

Liebe Leserinnen und Leser,

Angelus Silesius (1624 – 1677), Arzt, Theologe und Lyriker, stellte fest: „…und wäre Jesus tausendmal in Bethlehem geboren, und nicht in dir, du bliebest ewiglich verloren“. – Ist eine solche Aussage für uns nicht viel wesentlicher als z. B. zu wissen, ob Jesus nach seiner Auferstehung auch in Damaskus war?

Das Historische ist symbolisch gesehen die den Körper umspannende Haut. Das dahinter liegende Innere, das Seelische, ist der ewige Mythos, der das Sinn Gebende meint, das in Zeit und Raum in begrenzter Form auftritt. Damaskus ist dann nur eine Verkleidung für eine Vorstellung, die die Unsterblichkeit des Gottessohnes in der Welt bezeugt.

Wenn wir auf diese Weise Weisheit erfassen, ist „alles Sichtbare nur ein Gleichnis“ (Goethe) – und jedes Märchen wird zu einer Offenbarung des Wesentlichen, das uns alle teilhaben lässt an der allumfassenden Wirklichkeit: die Seele ist eine wissende Substanz, ist die Quelle des Individuums, die im Lebensfluss den Zugang in die Gemeinschaft der Seligen öffnet. Ja, wer diesen „Weg nach Innen fand“ (Hermann Hesse), „…dem wird jedes Tun und Denken zum Spiegel seiner eignen Seele, welche Welt und Gott enthält“.

Einen Spiegel habe ich schon vor Jahrzehnten in diesem Zusammenhang aufgenommen: „Die Sonnen-Schöpfung“ von B. Traven. Sie beginnt mit den Worten „Die Menschen lebten in Frieden auf Erden, und sie waren froh.“ Es ist eine „Indianische Legende“, ein Mythos, den ich Ihnen sinnbildlich für alle Wahrnehmungen vorstellen möchte, die die EINE Sonne in ihrem vielfältigen Sinn gemäß eines „senkrechten Weltbildes“ zwischen Himmel und Erde aufleuchten lässt: Sie ist in der Entsprechung „wie oben, so unten“ auf den verschiedenen Erscheinungsebenen dieser Welt Kraft, Licht, ICH BIN, Ego, Löwe, König(in), Gold, Vater usw.

Da wir von einer dieser Ebenen jeweils auf die andere schließen können, wenn wir nur das Prinzip, den seelischen Inhalt, verstanden haben, bitte ich Euch, in der nachfolgenden Einführung zu diesem Indianer-Mythos für Sonne diese analogen Worte einzusetzen – und Ihr wisst fortan, die jeden Tag für Euch leuchtende Sonne dankbar anzunehmen und sie in Euch als das Symbol Eures Herzens in jeder Sekunde aufgehen zu sehen.

„Sie freuten sich der Sonne, die ihnen Licht gab und Wärme, ihren Feldern Frucht, den Blumen Wohlgerüche und schöne Farben, den Bäumen schattenverleihende Dächer grünen Laubes und den Vögeln unter dem Himmel die Lust zu jubilieren. Und die Menschen verehrten die Sonne als Spenderin allen Segens und allen Reichtums auf Erden. Sie bauten den guten Göttern, denen sie die Erhaltung und Bewachung der Sonne verdankten, große

Tempel aus Steinen, und sie sangen ihnen zum Lobe viele schöne Lieder.

Und es begab sich, dass die bösen Götter der Finsternis, die in tiefen Schluchten wohnten und entlang der Ufer unterirdischer Seen und Flüsse, es unternahmen, die Herrschaft der Welt zu rauben.

Der grimme Kampf der Götter erschütterte das Weltall in seinen Festen und verwirrte das Leben der Menschen und ihre Reden und verwirrte alle ihre Handlungen und Werke. Meere, Seen und Flüsse überschwemmten die Felder, und die Gewässer trugen die Häuser und Städte der Menschen hinweg. Darauf geschah es, dass die Seen und Flüsse vertrockneten, und es war lange Dürre und viel Not im Lande. Aber die Menschen besaßen die Sonne am Himmel. Und es war die Sonne, die ihre Herzen mit Hoffnungen erfüllte und ihren Glauben wachhielt an der Sieg der guten Götter über die bösen.

Jedoch, verbündet mit allen den bösen Geistern und Feinden des Guten und mit den Geistern der Grausamkeit, der Rohheit, der Herrschsucht, der Eitelkeit, der Habgier, des Neides, der Lieblosigkeit, der Unduldsamkeit, der Erbarmungslosigkeit, der Eifersucht und des trüben Sinnes, gelang es den bösen Göttern nach langem und erbittertem Kriege, die guten Götte zu besiegen. Und sie erschlugen alle guten Götter und ließen ihre Körper den Zopilotes und den Coyotes zum Fraß, und sie begruben sie nicht. Und es war viel Wehklagen allerorten im Weltall. Denn die Eintracht aller Dinge und Geschehnisse und deren Verwandtschaft zueinander waren zerstört worden. Es erhob sich Zwietracht und Feindschaft, wo auch immer zwei dinge oder Geschehnisse sich trafen und berührten.

Als nun alle guten Götter erschlagen waren, gingen die bösen Götter hin und löschten die Sonne aus. – Dann aber kam Chicovaneg, der junge Häuptling der Shcucchuitsanen… Er nahm Abschied von seinem Weibe, seinem Sohn, seiner Mutter, seinen Freunden und von seinem Volke. Versehen mit dem Rat und Unterricht des Weisen Bayelsnael begab er sich auf den Weg…

…und hier beginnt auch mein und Euer Weg – bis zum Ende der Geschichte, die das Indianer-Märchen in unsere Seele senkt: „Und die Menschen auf Erden sollen dich für ewig mitten auf meinem Schilde sehen, damit sie wissen, dass Dankbarkeit wohl selten ist, doch nicht ganz verlorenging und zuweilen, unter besonderen Verhältnissen, vielleicht entdeckt werden kann.“

Herzlichst, Wolfgang Maiworm