Lebens|t|räume Magazin

Ausgabe Dezember 2021

Wunder des Lebens
Dr. Ruediger Dahlke: Wunder des Lebens

ICH und DU
Dr. Folker Meißner: ICH und DU – Resilienz durch Authentizität
Monika Roth: ICH und DU
Ludmilla Wasinger: ICH und DU und das Leben

CORONA – DU und ICH
Dr. Marlen und Dr. Hartmut Schröder: Miteinander sprechen

…und vieles mehr

Liebe Leserinnen und Leser,

zu den Wundern des Lebens gehört es, dass sich auf „geheimen“ Wegen ICH und DU getroffen haben. Wir haben es nicht geplant, doch der Zufall wollte es, dass sich unsere Wege kreuzten, ICH in Deine Augen schaute, ein Blitz mich traf, und ich nicht anders konnte, als Dich anzusprechen….

Nun sind wir zusammen. Wir erinnern uns an diese erste Begegnung. DU sagst, Du wärest nur aufgrund einer Empfehlung eines Freundes „zufällig“ an diesen Ort gekommen. ICH sage, ich wäre nur aufgrund einer Fernseh-Sendung darauf gekommen, diesen Ort aufzusuchen. Was für ein Zufall! Was für ein Glück!

Einmal auf dieses „Wunder“ aufmerksam geworden, ergibt sich beim Erinnern und Nachdenken, dass nahezu alle Begegnungen diesen Hintergrund haben: Irgendein Ereignis führte zusammen, irgendwelche Informationen zu unterschiedlichen Zeitpunkten führten zu Treffen, die schicksalhaft wurden.

Und wenn wir dann dem „Zufall“ auf die Spur kommen, erkennen wir, dass uns offenbar IMMER nur das zufällt, was uns zufallen kann bzw. soll. Alles wird plötzlich sinnhaft. Ereignis um Ereignis erweist sich als zielführend – bis hin zum Begreifen, dass es ein Gesetz gibt, wonach man dem folgerichtig begegnet, was bereits in einem ist, sozusagen als ein Gesetz der Resonanz. – Es steht offenbar schon bei der Geburt fest, was mich von innen heraus etwas angeht, was ich als wichtig, sympathisch, erstrebenswert empfinde – und was nicht. Auf manches werde ich sozusagen mit der Nase draufgestoßen und Anderes geht mir „am Arsch vorbei“.

Dir geht es genauso. – Das heißt, wir konnten uns damals, als uns der Blitz traf, gar nicht entgehen. Wir mussten uns treffen, wir mussten einem übergeordneten Gesetz, einem übergeordneten Willen folgen. – Nun sind wir in Zeit und Raum als ICH und DU dazu aufgerufen, dieses übergeordnete Gesetz zu begreifen und ihm gemäß unserer Erkenntnisfähigkeit den tiefst-möglichen Sinn einzuhauchen. – DU bist für mich, das ICH, eine Idee, eine Bestimmung, eine Andersartigkeit, eine noch in den verschiedenen Facetten dieser Welt Fremde. Ich kann nicht anders: ICH muss Dir näherkommen, muss in Dich eindringen: körperlich, seelisch, geistig – und das, was mich treibt, ist SehnSUCHT, ist eine Ahnung, ein zu durchdringender Nebel.

 

Jedenfalls müssen wir über die ICH-Grenzen gehen, um zu einer Vereinigung zu kommen. – Kannst DU mich riechen? Kannst Du mich sehen und hören? Kannst Du mich (be-)greifen, wenn ich Dich mit den Worten von Jorge Bucay konfrontiere:
Ich will, dass du mir zuhörst, ohne über mich zu urteilen
Ich will, dass Du Deine Meinung sagst, ohne mir Ratschläge zu erteilen
Ich will, dass du mir vertraust, ohne etwas zu erwarten
Ich will, dass du mir hilfst, ohne für mich zu entscheiden
Ich will, dass du für mich sorgst, ohne mich zu erdrücken
Ich will, dass du mich siehst, ohne dich in mir zu sehen
Ich will, dass du mich umarmst, ohne mir den Atem zu rauben
Ich will, dass du mir Mut machst, ohne mich zu bedrängen
Ich will, dass du mich hältst, ohne mich festzuhalten
Ich will, dass du mich beschützt, aufrichtig
Ich will, dass du dich näherst, doch nicht als Eindringling
Ich will, dass du all das kennst, was dir an mir missfällt
Dass du es akzeptierst, versuch es nicht zu ändern
Ich will, dass du weißt…..dass DU heute auf mich zählen kannst…
Bedingungslos.

Vielleicht scheitern wir an der einen oder anderen Herausforderung. Was dann? Ist das ein Grund, sich zu trennen, sich scheiden zu lassen? Ja, solange wir davon ausgehen, dass ICH und DU in der Unterschiedlichkeit, die ein Pro und Contra kennt, das unüberwindbar Trennende als das Wesentlichste begreifen. Es ist nun einmal so, dass ein Mann keine Frau ist und eine Frau kein Mann. Biologisch. – Doch dann, wenn sie über die biologischen Vorgaben erkennen, dass die zum Empfangen geborene Frau den zum Eindringen geborenen Mann braucht, um etwas Drittes aus sich hervorbringen zu können, lichtet sich der Nebel. Es kommt zur konkreten Verwirklichung. Blut fließt. Die Unschuld ist genommen. Und von hier aus ergeben Erfahrungen zwingend die Erkenntnis, dass auf allen Ebenen des Lebens ICH und DU zusammenkommen müssen, um Neues hervorzubringen. ICH und DU sind dann keine Addition mehr, sie sind eine Multiplikation: eine grenzenlose Möglichkeit, ursprüngliche Bedingungen und Konditionierungen zu überwinden.

Jede „zufällige“ Begegnung wird zum Auftrag, Trennendes zu überwinden. – Jede Logik mündet in Paradoxie. Jede Argumentation im Sinne von Ursache und Wirkung (Damals habe ich Dich getroffen, und weil wir uns getroffen haben, haben wir ein Kind machen können) greift zu kurz. Ein anderes Verstehen erfasst unser ganzes Sein: Wenn DU verstehst, sind alle Dinge eins. Wenn DU nicht verstehst, sind sie verschieden und getrennt. Wenn ICH nicht verstehe, sind alle Dinge eins, wenn ICH verstehe, sind sie verschieden und getrennt.

Zugegeben, das entspricht nicht unserem schulischen Wissen, entspricht nicht mehr nur den Maximen eines Aristoteles, aber es entspricht dem wahren Leben.

ICH und DU finden zu ihrer Bestimmung, wenn sie das vermeintlich Trennende als zusammengehörig begreifen, die Unterschiede als einander entsprechende, sich im Nebel des Lebens suchende zwei Hälften annehmen. Dann wird es wahr: ICH bin DU. DU bist ICH.

 
Herzlichst,
 
Wolfgang Maiworm