Lebens|t|räume Magazin

Ausgabe August 2022

Aktuelles
Wolfgang Maiworm: Mutter Erde – meine Heimat: Lanzarote

Leben ist Schwingung
Ulrich Krause: Leben ist Schwingung – Klang, Musik, Stimme
Prof. Dr. Wolfgang-Andreas Schultz: Was Musik über Freiheit erzählt
Hermann Achenbach: Klang – die Verkörperung geistiger Erkenntnisse
Karsin R. Ebker: Durch den Klang innere Heilung erfahren
Lara Weigmann: OM ist Mantra

…und vieles mehr

Liebe Leserinnen und Leser,

was ist Zeitgeist? In diesem Begriff ist es bereits angelegt, dass es nicht nur um die Zeitquantität geht, sondern auch um die Zeitqualität. Es geht also um Kronos und Kairos. Es geht um das Berechenbare und das Unberechenbare, das permanent Veränderliche. Es geht um das Verlässliche und das Unzuverlässige. Es geht um Sicherheit und Unsicherheit, um Fixes und Veränderliches.

Davor liegt die kardinale Frage, um welches Thema des Lebens es geht. Beschäftigen wir uns mit dem Materiellen, dem Seelischen, Geistigen oder Transzendenten? Denn das sind die vier Seinszustände, die zwar zusammengehören, aber unterschiedlich in jedem Ding gewichtet sind.

Was gilt denn für Sie? Sind Sie ein Sicherheitsfanatiker? Oder suchen Sie in Ihren Lebensbereichen mehr das Risiko? Sie kennen ja das Sprichwort „Wer nach Sicherheit verlangt, darf nicht nach Liebe suchen“. Stimmt das? – Im ZEN heißt es zum Beispiel „Meine Härte ist Liebe“. Stimmt das? – Alles stimmt – und stimmt gleichzeitig nicht. Es ist eine individuelle Gegebenheit, eine dem jeweiligen Ding bzw. der jeweiligen Person eingeborene Einzigartigkeit, die vorgibt, welche Resonanz er, sie, es zum „Zeitgeist“ hat.

Im Folgenden wähle ich die Ebene, die für uns Menschen gilt, wenn wir in Resonanz kommen zu dem, was uns Umwelt, Schicksal, Ereignisse vorgeben.

Krieg ist zum Beispiel eine Material-Schlacht, aber auch viel seelisches Leid erzeugend, weil es individuelle geistige Konzepte gibt, die einem übergeordneten Sinn dienen.

Was gilt es abzusichern? Was will losgelassen werden?

Wer Grenzen verteidigt, sucht sich abzusichern, weil die Angst besteht, etwas zu verlieren.

„Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein.“ –

Zeitquantität kommt immer dann ins Spiel der Kräfte, wenn vorgerechnet wird, wer im Laufe der Geschichte bestimmte Gebiete in Besitz genommen hat und folglich glaubt, diese Grenzziehung bedeute, alle Rechte zu haben, auf unbegrenzte Zeit dieses Territorium behalten bzw. rechtmäßig als sein Eigentum beanspruchen zu dürfen. – Wer in Palästina, wer in Russland, wer in Polen könnte nicht ein- stimmen in Häuptling Seattles Rede von 1855, wenn er hinsichtlich der Eroberung seines Lan- des durch die Weißen zum Präsidenten Amerikas sagt:

„…Jeder Teil dieses Landes ist für mein Volk geheiligt. Jeder Hügel, jedes Tal, jede Ebene und jeder Hain ist weihevoll erfüllt von einigen lieblichen Erinnerungen oder einigen traurigen Erfahrungen meines Stammes. Sogar die Felsen, welche entlang der stillen Küste in feierlicher Größe dumpf in der Sonne zu brüten scheinen, erschauern voller Erinnerung vergangener Ereignisse, die mit dem Leben mei- nes Volkes verbunden sind. Derselbe Staub unter euren Füßen gibt unsere Fußstapfen zärtlicher wieder als die euren, denn es ist die Asche unserer Vorfahren, und unsere nackten Füße fühlen die freundliche Berührung, denn die Erde ist angereichert mit dem Leben unserer Geschlechter.

Die tapferen Krieger, zärtlichen Mütter, fröhliche, von Herzen glückliche Mädchen und sogar die kleinen Kinder, die hier kurze Zeit lebten und sich freuten, und deren Namen nun vergessen sind, lieben immer noch diese dämmrigen Einsamkeiten und ihre tiefe Abgeschiedenheit, welche zur Abendzeit mit dem Erscheinen der Schattengeister immer dunkler werden.“

Hier wird die Seele eines Volkes, der Duwamish-Indianer, angesprochen, die ein Heimatgefühl über Generationen in die Gene ihrer Nachkommen gelegt haben, das über alle Veränderungen in der Zeit als nicht zerstörbar erkannt ist – allen äußeren Veränderungen zum Trotz.

Was sagen die Sudetendeutschen dazu? Was sagen die Pommern und Ostpreußen dazu? Was sagen die Heimatvertriebenen in aller Welt dazu?

Und was sagen jene dazu, die 1948 den Paläs- tinensern ihr Land abnahmen, weil sie davon ausgehen, dass das „gelobte Land“ entgegen aller geschichtlicher Gegebenheiten, für die Häuptling Seattle argumentiert, ihnen gehöre?

Was ist das für ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, der sich wieder und immer noch auf einen Anspruch auf Land bezieht?

Wie viele Kriege sollen noch dafür geführt werden, dass irgendwann entstandene Grenzziehungen den gesunden Menschenverstand aushebeln und man mit dem geht, was ohnehin alles Geschehen im Universum bestimmt: Veränderung, Bewegung, Grenzverschiebung?

Wie viele Menschen müssen noch sterben, weil die Angst (Enge), etwas zu verlieren, was generell mit dem Haben-Wollen zu tun hat, so riesengroß ist und kein Weitblick gegeben ist, Grenzen fallen zu lassen – und die Ordnung, die auf diese Weise sich offenbaren wird, als fortschrittlich zu begreifen: ein Mensch zu sein, unabhängig von nationalen Grenzen und unabhängig von Machtinteressen irgendeines -ismus?

Der „gesunde Menschenverstand“ würde sich einer Vorgabe von „offen und weit – nichts von Heiligkeit“ bedienen und alles, was ist, als lebens- und liebenswert bewahren, und zwar über alle Grenzen hinweg. Nur der blinde Egoismus steht dem entgegen. Ich, ich, ich – das ist der Tod. Haben zu wollen, statt einfach nur zu sein – das ist das Verderben, das sich in tierischen, allein instinktgebundenen Emotionen zeigt. Der wahre Mensch will aus dieser Gebundenheit an das Niedere befreit werden, will über die Widersprüche hinauswachsen und vereinen, was getrennt ist. Er will das Andersartige, das Fremde, das Feindliche ver- einen, will gut und böse neutralisieren, will Täter und Opfer zusammenbringen, will im Handeln bestätigen, dass er Frieden will und dafür bereit ist, den Frieden – und nicht den Krieg – vorzubereiten. Und das ohne Unterlass, ohne egoistische Bedingungen.

Dies ist nur möglich, wenn man mehr auf die Zeitqualität (!) achtet. Diese erkennt man, indem man Mut zur Demut mitbringt – und sagen lernt: „Herr, es geschehe dein Wille“. Dieser „Herr“ ist im höchsten Sinn der „Geistführer“, losgelöst von der Begrenzung im Namen Allah, Gott oder Jahwe.

Denn das Leben außerhalb aller Form (Grenzen), das jedoch alle Formen durchdringt, kennt weder Name noch Beschreibung, weder Raum noch Zeit.

Deshalb ist es mehr als eine Überlegung, ob entsprechend dieser Zeitqualität die demütige Handlung der Führer der Ukraine darin liegen sollte, ihre Soldaten für die Menschenliebe einzusetzen, indem sie den Krieg für die Bewahrung von Grenzen aufgeben – und damit Tausende von Menschenleben retten. – Das wäre ein Beispiel für Sinn und Verstand, aber auch zum Wohl des Ganzen der Tod von jahrhundertealtem Entwe- der-Oder-Denken.

Was steht dem entgegen: die Vorstellung, dass Putin ein Irrer sei, der diese äußere Kapitulation für die terrestrisch orientierten Machtinteressen nutzen und Erde, Seele, Geist, Spiritualität der Ukraine vernichten würde. – Wie kurzsichtig! – Goethe ist tot, sein Geist lebt weiter. Gandhi ist tot, sein Geist lebt weiter. Martin Luther-King ist tot, sein Geist lebt weiter. Waghalsiger ist es, diesen Gedanken in die Politik zu tragen, aber ich wage es: Willy Brandt ist tot, aber sein Geist lebt weiter: „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“ – Deshalb die Aufforderung an die „Ampel“: Hört auf die Minderheiten, hört auf die „Querdenker“. Die decken die Schwachstellen im denkbar Besten auf und erkennen vor Anderen, was Fortschritt bedeutet: Verrat am Alten, Überwindung der Abhängigkeiten von Geld, Macht und zur Schau getragener Klugheit. Dazu Orientierung an einem ehernen Gesetz: „Der Weise senkt bescheiden den Kopf, wo der Kluge ihn hebt.“

Herzlichst,

Wolfgang Maiworm