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Wolfgang Maiworm, E-Mail: wolfgang@lebens-t-raeume.de, Website: www.wolfgangmaiworm.de
Liebe Leserinnen und Leser,
in den 30 Jahren des Erscheinens der „Lebens|t|räume“ habe ich an dieser Stelle immer wieder Sie und mich darauf aufmerksam gemacht, dass das Polaritätsgesetz erkannt werden möge, damit wir im Wahrnehmen, Spüren und Handeln zu einem Sowohl-als-auch finden und von Identifikationen jenseits des Einenden loslassen lernen.
Nun habe ich – im Licht des Jubiläums dieses Magazins für Gesundheit und Bewusstsein – im Buch von Heinrich E. Benedikt („Die Kabbala“, Band 1, Seite 192 ff.) sozusagen als Spiegel unseres Bewusstseinsstandes einen Text gefunden, den ich Ihnen mit großer Freude nahebringe:
„Jedes Ding, jedes Bild und jeder Gedanke kann zur Behinderung oder zum Mittel werden, uns in Richtung unseres Zieles vorwärts zu bewegen. Darin liegt der zwielichtige Charakter aller Erscheinungen, die wir Maya nannten.
Die Grundform unserer Identifikation mit den äußeren Dingen findet ihren Ausdruck in unserem Selbstverständnis, unserem Wert- und Selbstwertgefühl. Überhaupt sind unsere Wertungen, unsere Abneigungen und Vorlieben ein hervorragender Spiegel unseres Bewusstseinsstandes und unserer inneren Verankerung. Stets werden wir um jene Dinge, Gedanken und Meinungen kämpfen, mit denen wir uns identifizieren und die unseren ganzen Eigenwert ausmachen. Wir werden sie verteidigen und fühlen uns angegriffen, verunsichert, beleidigt oder gar abgelehnt, wenn andere uns mit anderen Auffassungen, Vorstellungen und Werten gegenübertreten.
Solange wir an den Dingen, Vorstellungen, Gedanken, Bildern und Gewohnheiten hängen, uns mit ihnen identifizieren und wir unser wahres, unter all diesen Wertungen verschüttetes Wesen darüber vergessen und übersehen, sind unser Selbstwert und unser Befinden vollkommen abhängig von den wechselnden ‚Börsenkursen‘, die unsere Werte in unserer Umgebung und Umwelt finden.
Tatsächlich ist aber auch unser eigenes Gemüt und Unbewusstes hinsichtlich seiner Identifikationen und Wertungen nicht gerade konsistent, so dass schon die inneren Ungereimtheiten konfligierender Wertungen und Motive genügen, uns zu schaffen zu machen und uns miserabel zu fühlen.
Diese in uns etablierten Wertungen beziehen wir schließlich nicht nur auf Dinge, Gedanken, Bilder, Geschehnisse und Auffassungen, sondern auch auf menschliche Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen. Und indem wir uns mit ihnen identifizieren, fallen wir selbst – wie natürlich all unsere Mitbürger – diesen Wertungen völlig zum Opfer, da sie uns zwingen, ihnen zu entsprechen und gerecht zu werden.
Betrachten wir unsere gegenwärtige Welt, so sehen wir, dass sich diese Tendenz der Wertungen geradezu zu einer Diktatur der Werte steigert. In dem Maße, wie sich diese Vorstellungen und Wertungen zu ganzen Welt- und Lebensbildern und einem darin eingebundenen Ichbild verdichten, die uns – wie auch anderen – vorschreiben, wie sich ein ‚wertvoller‘, ‚liebenswerter‘ Mensch zu verhalten, zu leben und zu sein habe, wird der ‚Erfolg‘ oder ‚Misserfolg‘ unseres Lebens einzig und allein danach bestimmt, wie weit wir unserem innerlich errichteten Welt- und Ichbild entsprechen oder nicht.
Sowohl Erfolg als auch Versagen werden, wie der ‚Wert‘ eines Menschen, schließlich allein danach bemessen, wie weit er von den gesetzten Normen, Werten und Bildern abweicht oder ihnen entspricht. Allein, wenn wir diesem Gedanken folgen, spüren wir wohl, wie einer solchen Lebenshaltung alles Leben entweicht, sodass letztlich unter den Fassaden eng gefügter Werte kaum noch lebendiges Menschsein möglich ist. Selbstverständlich verkümmert darunter unser wahrer Kern, wenn er nicht stark genug ist, diese Formen aufzubrechen und uns auf den Weg der Befreiung zu führen.
Diese Haltung, in der wir – wie extrem oder geringfügig auch immer – uns mit bestimmten Werten identifizieren und durch die wir Menschen und Welt in ‚gut‘ und ’schlecht‘ aufspalten, nennen wir duales Denken und dualistische Lebensauffassung. Jede Weise solchen dualen Verhaltens, auch wenn es sich nur in Form des Haftens und Hängens an einzelnen Gedanken, Vorstellungen und Bildern ausdrückt, durch die wir an sich zusammengehörige, untrennbare Pole in einer Haltung des Entweder-Oder aufspalten, indem wir das eine vertreten und das andere ablehnen, ist unumwundener Ausdruck einer Identifikation mit den Erscheinungen der äußeren Welt und einer mangelnden Verwurzelung oder Verankerung im wahren, allumfassenden Grund der Welt und unseres Bewusstseins.
Es ist Ausdruck des – zumindest temporären – Abstieges oder Falles unseres Bewusstseins in die materielle Welt…
…Indem wir uns an die Welt haften, fallen wir aus der Einheit des wahren Seins. Indem wir das, was ist und sich offenbart – inklusive unseres eigenen Wesens und unserer eigenen Natur – nur nach ihrer äußeren, polaren Form beurteilen (Ur-teilung) und durch Wertungen, die wir darauflegen, vergewaltigen, so dass nichts mehr sein darf, wie es ist, sondern zu sein hat, wie wir es wünschen oder denken, verleugnen wir nicht nur die Einheit allen Seins, sondern auch unseren eigenen Ursprung und unser eigenes Wesen.
Die Konsequenz des in seinem So-Sein, seiner ‚Nacktheit‘, bedrohten Menschen ist, dass er sich versteckt und sein wahres Gesicht hinter einer Maske, der Persona, einem Schleier des Anscheins, verbirgt, die ihn vor der Gewalt des Bewertens beschützt. So heißt es doch in der Schrift: ‚Da erkannten sie, dass sie nackt waren. Deshalb flochten sie Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze‘ (Gen. 3,7). Hinter diesem Schleier aber lassen wir den Baum des Lebens, unser verheißenes Sein und Leben, verkümmern.
Wir haben Herrschaft gewonnen über Raum und Zeit, stellen Natur und Rohstoffe in unseren Dienst, sammeln materielle Werte und Güter um uns und nehmen sie in Besitz. Wir bauen an Ruhm und Anerkennung, aber gleichzeitig beuten wir die Natur, unsere Mitmenschen und oftmals uns selbst schonungslos aus. Das Versprechen der Schlange hat sich erfüllt: Wir haben große Wissenschaften und Technologien entwickelt, haben Besitz und Wissen um uns aufgetürmt – aber im Inneren blieben wir arm und leer. Von paradiesischen Zuständen sind wir weiter entfernt denn je.
Dies ist die Frucht des dualen Denkens. Ihr Ausdruck sind Verzweiflung und Tod.
Diesem dualen Denken gegenüber, das die Welt aufspaltet in ein Entweder-Oder, liegt eine Verhaltensweise, die – aus der Verhaftung an bestimmte Vorstellungen, Gedanken und Vorlieben gelöst – die Realität beider Pole annimmt und damit lebt. Es ist dies eine Haltung des Sowohl-als-auch, gemäß der wir, wenn wir uns in der Tat auch einmal für dies, das andere Mal für das entscheiden müssen, in unserem Bewusstsein doch beide Pole umfassen. Indem wir in unserer Wahrnehmung und unserem Bewusstsein der Bewegung und Veränderung der Situationen, Ereignisse und Dinge folgend mit den Polen schwingen, entfalten wir die Fähigkeit, jeder Situation gemäß zu antworten.
Der erste Schritt, uns aus der Identifikation mit den Dingen zu lösen, ist es, durch eine ‚wertfreie‘ Betrachtung der Welt vom dualen zu einem polaren Denken, von einer Haltung des Entweder-Oder zu einer des Sowohl-als-auch zu gelangen. Umgekehrt bedarf dieser Schritt der Disidentifikation unseres Bewusstseins von der Welt der Erscheinungen. Dadurch gewinnen wir an innerer Sicherheit und Festigkeit in uns selbst, die es uns wiederum erleichtert, unsere Wertungen, Identifikationen, fixierten Bilder bis hin zu unserem Pseudo-Ich loszulassen.
Diese Beweglichkeit bedeutet nicht etwa ein unentschiedenes Sich-treiben-Lassen. Vielmehr fordert sie uns, unseren Standpunkt in uns selbst, aus unserer eigenen Mitte heraus, zu beziehen. Sie fordert von uns sehr wohl ein entschiedenes Stellungnehmen – jedoch in Entsprechung zu den jeweiligen Erfordernissen und gelöst aus den Verhaftungen der Persönlichkeit.
Suchen wir, die eine Wahrheit zu finden und zu verwirklichen, so braucht es ein Denken, Entscheiden und Handeln aus dem Bewusstsein, im Wesen nicht mit den wechselnden Formen der Gedanken, Dinge und Erscheinungen verflochten, sondern mit dem unwandelbaren Grund des Bewusstseins eins zu sein. Denn jeder kann nur einem Herrn dienen: dem Mammon oder Gott. Hier gilt es zu wählen: Entweder wir entscheiden uns für Gott (die Drei-Einigkeit) oder für die Welt (die Zwei). Diese Entscheidung ist keine Beurteilung, sondern eine Wahl. Sie ist keine Aufspaltung des Denkens, sondern ein Entscheiden für die wechselnden Erscheinungen an der Oberfläche oder für den unveränderlichen Wesenskern, der der Grund aller Dinge ist.
In letzterer Wahl überwinden wir die Haltung des Entweder-Oder, denn in Gott sind alle Dinge in einer Einheit umfasst. Das ist der Sinn des alten kabbalistischen Sprichwortes: ‚Die Welt ist Gottes Ort, aber Gottes Ort ist nicht die Welt.‘
Dementsprechend sind auch die Früchte
Wählen wir die Welt, den Dualismus des Entweder-Oder, so ernten wir Konflikt, Zwist, Zwietracht, Entzweiung, Zwiespalt und Verzweiflung. Die bedeuten Stagnation – und sind der Seele Tod.
Liebe Leserinnen und Leser,
nehmen Sie diese Worte in Ihr Herz – und erkennen Sie, dass jene, die Ihnen ihre Werte aufdrücken wollen (sei es Demokratie oder Autokratie und alles, was mit „-ismus“ endet), spalten. Waffen herzustellen, zu verteilen und zu benutzen bedeutet, weiter zu dieser Spaltung beizutragen – und damit sich mehr und mehr vom Sinn des wahren Lebens zu entfernen. Bewusst oder unbewusst sind die Handlanger solchen Verhaltens die „Engel des Todes“. Ihre Botschaften stiften Unheil. „Herr hilf ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Herzlichst,
Wolfgang Maiworm